Am Freitagabend habe ich einen Abstecher in den Vorhof der Hölle unternommen. Er ist wahlweise schweinchenrosa oder himmelblau und befindet sich hinter dem Rathaus in München.
Zur Erklärung: Ich war bei Schlichting. Unterüberschrift "Alles Gute für Mutter und Kind"(
Schlichting-Homepage)
Das ist der Laden, den DINKS (Double-Income-No-Kids)-Pärchen in München besuchen, wenn aus ihnen EIKS (Elterngeld-Income-With-Kids)-Familien werden. Oder anders ausgedrückt: Es handelt sich um den Kustermann für werdende Mittelschichten-Eltern. Sozusagen das Must-Have jeder anständigen Baby-Shower-Party.
Schlichting ist aber nebenbei auch ein Eldorado für soziologische Analysen. Wer jemals daran denkt eine Arbeit über Bourdieu zu schreiben, sollte dort dringend mal einen Tag zur Beobachtung verbringen.
Denn: Auch ein Baby ist heutzutage nicht mehr nur ein kleines schreiendes Etwas, das entweder Mama oder Papa ähnlicher sieht. Das Baby von heute ist ein wandelnder Statussymbolträger. In Zeiten, in denen selbst handtaschengroße Mini-Hunde eingekleidet werden, eigentlich kein verwunderliches Phänomen.
Und weil sich ein Kind so wunderbar zur Ausstaffierung eignet, gibts bei Schlichting auch den neuesten Schrei: Retro-Kinderwägen. Denn im Moment eignet sich offenbar nichts besser zur Distinktion im Großstadtdschungel als designtechnisch zurückgenommene, dunkelblaue, mit Lackoptik versehenen Kinderwägen wie es sie in den 60ern gab.
Wegbereiter dieses Trends war-wie kann es auch anders sein- der Babyboom in Berlins hippen Vierteln wie dem Prenzlauer Berg. Denn wenn die Urbane Pennerin schon mal ein Kind kriegt, dann muss es natürlich auch zum Lebensstil passen. Und zum Flohmarktchic kombiniert man eben sehr gerne alte Kinderwägen, wahrscheinlich vom Flohmarkt am Arconaplatz.
Das wiederrum findet die Münchner Vorstädterin zwar ebenfalls richtig chic (wer ist nicht gern Teil der kulturellen Avantgarde? wer findet es nicht toll, wenn der Kinderwagen zu dem eigenen Spaziergangs-Prada Outfit paßt?), aber ein Kinderwagen vom Flohmarkt wird dann hierzulande doch eher als unhygienisch empfunden. Schwupps hat Schlichting eine lukrative Marktlücke aufgetan.
Die andere große Gruppe der Noch-Kinder-Krieger, wohnhaft eher in Stadtvierteln wie Feldmoching oder dem Hasenbergl, hat diesen Trend mal wieder nicht erkannt und setzt auch weiterhin auf weiche Stoffkinderwägen mit babygerechtem Dekor. Doch spätestens in ein paar Jahren ist mit einem unaufhaltsamem Überschwappen der modischen Welle in die Vorstädte zu rechnen. Aber bis dahin hat die Schlichting-Klientel bestimmt schon wieder ein neues Distinktionsmerkmal für sich entdeckt.
Und dank dem Elterngeld werden sie es sich dann noch besser leisten können als bisher.