Sowieso und Irgendwo

Sonntag, Dezember 03, 2006

Hölle, Hölle, Hölle




Am Freitagabend habe ich einen Abstecher in den Vorhof der Hölle unternommen. Er ist wahlweise schweinchenrosa oder himmelblau und befindet sich hinter dem Rathaus in München.

Zur Erklärung: Ich war bei Schlichting. Unterüberschrift "Alles Gute für Mutter und Kind"(Schlichting-Homepage)
Das ist der Laden, den DINKS (Double-Income-No-Kids)-Pärchen in München besuchen, wenn aus ihnen EIKS (Elterngeld-Income-With-Kids)-Familien werden. Oder anders ausgedrückt: Es handelt sich um den Kustermann für werdende Mittelschichten-Eltern. Sozusagen das Must-Have jeder anständigen Baby-Shower-Party.

Schlichting ist aber nebenbei auch ein Eldorado für soziologische Analysen. Wer jemals daran denkt eine Arbeit über Bourdieu zu schreiben, sollte dort dringend mal einen Tag zur Beobachtung verbringen.

Denn: Auch ein Baby ist heutzutage nicht mehr nur ein kleines schreiendes Etwas, das entweder Mama oder Papa ähnlicher sieht. Das Baby von heute ist ein wandelnder Statussymbolträger. In Zeiten, in denen selbst handtaschengroße Mini-Hunde eingekleidet werden, eigentlich kein verwunderliches Phänomen.
Und weil sich ein Kind so wunderbar zur Ausstaffierung eignet, gibts bei Schlichting auch den neuesten Schrei: Retro-Kinderwägen. Denn im Moment eignet sich offenbar nichts besser zur Distinktion im Großstadtdschungel als designtechnisch zurückgenommene, dunkelblaue, mit Lackoptik versehenen Kinderwägen wie es sie in den 60ern gab.

Wegbereiter dieses Trends war-wie kann es auch anders sein- der Babyboom in Berlins hippen Vierteln wie dem Prenzlauer Berg. Denn wenn die Urbane Pennerin schon mal ein Kind kriegt, dann muss es natürlich auch zum Lebensstil passen. Und zum Flohmarktchic kombiniert man eben sehr gerne alte Kinderwägen, wahrscheinlich vom Flohmarkt am Arconaplatz.
Das wiederrum findet die Münchner Vorstädterin zwar ebenfalls richtig chic (wer ist nicht gern Teil der kulturellen Avantgarde? wer findet es nicht toll, wenn der Kinderwagen zu dem eigenen Spaziergangs-Prada Outfit paßt?), aber ein Kinderwagen vom Flohmarkt wird dann hierzulande doch eher als unhygienisch empfunden. Schwupps hat Schlichting eine lukrative Marktlücke aufgetan.

Die andere große Gruppe der Noch-Kinder-Krieger, wohnhaft eher in Stadtvierteln wie Feldmoching oder dem Hasenbergl, hat diesen Trend mal wieder nicht erkannt und setzt auch weiterhin auf weiche Stoffkinderwägen mit babygerechtem Dekor. Doch spätestens in ein paar Jahren ist mit einem unaufhaltsamem Überschwappen der modischen Welle in die Vorstädte zu rechnen. Aber bis dahin hat die Schlichting-Klientel bestimmt schon wieder ein neues Distinktionsmerkmal für sich entdeckt.
Und dank dem Elterngeld werden sie es sich dann noch besser leisten können als bisher.

5 Comments:

Blogger heigelix said...

Ich möchte nur mal feststellen, dass es in Feldmoching-Hasenbergl (ein Viertel, nicht zwei) ReproduktionsverweigerInnen gibt, auch wenn die Wurfquote im 24. Stadtbezirk vielleicht etwas höher ist.
Und wenn man dem Armutsbericht der Stadt glauben mag, ist hier das Potential für dezentes upper-class baby bling bling nicht so groß. Kulturell und finanziell.

4:48 PM  
Anonymous Anonym said...

Ich glaube das Magazin der Süddeutschen war es, das vor nicht all zu langer Zeit die teuersten Kinderwägen vorgestellt hatte...

Interessant war, wie viele der, vor dem gediegenen italienischen Cafe oder gleich vor dem hippen Mutter(Kind)cafe mit angeschlossenem Retro-kinderbekleidungs-strickwaren store in der Sonne sitzenden Mütter so ein Luxusgefährt mit sich führten.

Kein Wunder, sind doch die (vor kurzem) gewordenen Mütter mit dem Inhalt (des Kinderwagens) gradezu gesegnet. Die letzten ihrer Art ( der im aussterben begriffenen Deutschen) verdienen ja nichts anderes als den mit feinstem Leder ausgeschlagenen edelen Kinderwagen.

Kinderwagen Diebstahl (aber bitte ohne Inhalt) ist jedenfalls in Haidhausen eine überlegung wert.

und ich plädiere entschieden für die geschlossene Überführung dieses Typus Familie in entsprechende Vorstadtsiedlungen. Sollen sie in ihrer Vorstadt hinter hohen Hecken hausen aber bitte nicht mir mein geliebtes Viertel zum Freilichtmuseeum für die neue oberschicht umwandeln.

by the way:
http://www.suburbanisation-sucks.de/

7:41 PM  
Blogger Nicky said...

anno, du lebst halt einfach im falschen viertel...

8:39 PM  
Anonymous Anonym said...

ach geh...
ist ja noch nicht alles so...
grüße Anno

8:53 PM  
Anonymous Anonym said...

Ich, als neu (3Wochen) Papa muss jetzt , auch wenn es traurig ist weil ich es vorher genauso empfand, wieder sprechen. Wir wollten genau so einen Kinderwagen, der weder zu kitschig, noch zu Statussymbol mässig war. Es ist aussichtslos einen zu bekommen!
Überall Bärchen, Gold oder Speuler.
Wir wollten keinen Trend Wagen und als wir letztens im Biergarten waren stolzierten noch 3 andere Pärchen mit fast dem gleichen Modell.
Was tun? Flüchten, schämen oder ignorieren.
Ich habe unsere Maß getrunken, meine süsse Tochter angeschaut und dann wurde es mir schlagartig bewusst. Es ist mir scheiss Egal wie "In" mein Wagen ist, zählt tut was drin ist!!

12:12 PM  

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